Industrielles Erbe

Zeche Zollverein

ISBN: 978-3-8375-0834-5

Eine diskursanalytische Untersuchung städtischer Transformationsprozesse am Beispiel Zeche Zollverein.

Heike Oevermann
2012
Essen: Klartext


Vorwort von Johannes Cramer:

„Die Denkmalpflege steckt in einer Krise – nicht einer Sinnkrise, sondern einer Existenzkrise. Vierzig Jahre nach der Begründung der UNESCO World Heritage List und dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975, beides Landmarken in der öffentlichen Zuwendung zum Denkmalthema, kämpft die deutsche Gesellschaft mit den Lasten der Wiedervereinigung und der internationalen Finanzkrise. Die Infrastruktur verkommt und zahlreiche soziale Leistungen werden in Frage gestellt. Öffentliche Mittel sind knapp und werden immer knapper, und die Denkmalfreunde müssen mit wahlweise Wut oder Resignation feststellen, dass die Erhaltung des baulichen Erbes die Politiker und die Öffentlichkeit nicht mehr interessiert. Denkmalschutz ist unversehens vom allseits geschätzten und geförderten weichen Standortfaktor zum angeblichen Hemmschuh wirtschaftlicher Entwicklung mutiert.

Wie konnte das passieren? Haben sich die Protagonisten der siebziger und achtziger Jahre so völlig getäuscht in der Ein- und Wertschätzung des gebauten Kulturerbes. Wurde die Ausweisung von Baudenkmalen maßlos übertrieben, wie uns manche Politiker und sogar Denkmalpfleger inzwischen glauben machen wollen? Wohl kaum.

Das Problem liegt an anderer Stelle. Eine Gesellschaft akzeptiert in Zeiten von heftigen Verteilungskämpfen nur solche Themen und ist auch nur dann bereit sie zu fördern, wenn sie diese Ziele versteht und die zugehörigen Werte teilt. Die Denkmalpflege hat es in den guten Zeiten versäumt, für dieses Verständnis und diese Akzeptanz aktiv zu werben und die positiven Wirkkräfte des Denkmalschutzes auch für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes deutlich heraus zu streichen. Der Diskurs der Denkmalpflege mit der Zivilgesellschaft fand nicht wirklich statt.

Und das wirkt sich heute extrem nachteilig aus. Warum Denkmalpfleger welche Forderungen stellen, und wo ein engagierter Sachwalter des Baudenkmals die rote Linie ziehen muss, die nicht überschritten werden darf, ist dem normalen Politiker und noch viel mehr dem normalen Bauherrn oft völlig schleierhaft. Die Forderungen der Denkmalpflege werden heute von Vielen als unberechenbar, kapriziös und anmaßend empfunden, nicht selten auch als widersprüchlich. Kurzum: Die Denkmalpflege und damit die Baudenkmale haben ein Vermittlungs-, ein Diskursproblem. Diesen Sachverhalt erkannt, aufgegriffen und an einem prominenten Denkmalensemble erstmals untersucht zu haben, ist das große Verdienst der vorliegenden Arbeit. Mit der Zeche Zollverein ist der Gegenstand in vielfacher Hinsicht prominent und zugleich ertragreich. UNESCO-Welterbe, strukturpolitisch hoch aufgehängt und von prominenten Architekten zukunftsfähig gemacht, bietet der Ort zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Frage, wie der Diskurs zur Transformation unter den Beteiligten organisiert und zum Ergebnis geführt wurde – unter Beteiligten, die sämtlich das Richtige wollten (was immer das in der Sache sein mag), diskursbereit waren und nicht zuletzt unter einem nicht unbeträchtlichen öffentlichen Erfolgsdruck standen. Ein Misserfolg war für das Unternehmen gewiss nicht vorgesehen und gänzlich unvorstellbar.

Die Untersuchung legt lehrbuchartig frei, wie die Protagonisten um die Ziele ringen und dabei die Grenzen zwischen den Disziplinen, die zunächst klar definiert zu sein scheinen, immer stärker verschwimmen. Auch diese Unsicherheit in der Ausfüllung einer Rolle ist offenkundig ein Problem, mit dem die Denkmalpflege heute zu kämpfen hat und zukünftig immer mehr zu kämpfen haben wird. Und auch wenn die Untersuchung mit einem prominenten Industriedenkmal eine noch eher junge Denkmalkategorie in den Blick genommen hat, zeigt sich doch gerade an den systematisch erarbeiteten Ergebnissen, dass das hier Beobachtete auch für alle anderen Baudenkmale Gültigkeit hat. Insoweit wünscht man der Untersuchung eine breite Wahrnehmung gerade in den Kreisen, die sich weiter für die Erhaltung unseres gebauten Erbes einsetzen.“